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Was darf ich denn überhaupt noch sagen?

Was darf ich denn überhaupt noch sagen? Ich mein‘ das ja gar nicht böse!

Es ist schwierig für Menschen mit heller Hautfarbe, über Rassismus zu sprechen. Es fehlt die Erfahrung, wie es ist, wenn man aufgrund seiner Haut bewertet wird. Nicht aufgrund seiner Persönlichkeit, seiner inneren Größe, seines Einfallsreichtums, seiner Weisheit.

Es fehlt auch die Erfahrung der Jahrhunderte der Kolonialisierung, der Sklaverei und des Niedrigstatus. Und es fehlt die Erfahrung, im Kollektiv abgestempelt zu werden.

Überall, wo man als hellhäutige Person hinfährt, wird man meistens mit Freundlichkeit und einer gewissen Bewunderung behandelt.

Wie das ist, wenn man eine dunklere Haut hat, beschreibt Oda Stockmann. In dem Kurzvideo Mehr Vielfalt! Warum Diversität wichtig ist erzählt sie über die Erfahrungen mit ihrem Adoptivsohn.

Aber es ist ja nur eine Feststellung!

„Was darf ich denn überhaupt noch sagen? Irgendwie muss ich ja eine Bezeichnung verwenden!“

Ist das so? Würde man auch sagen:

Da stand ein weißer Mann vor dem Geschäft? Oder eher: Ein großer Mann, ein Mann mit blauer Jacke, ein wartender Mann oder einfach nur ein Mann?

Der Weißeuropäer wartete auf den Bus. Oder einfach der Europäer?

In den Geschäften war heute viel los – da waren viele Menschen mit Stillstandshintergrund.

Die Kollegin, deren Eltern in einem anderen Bundesland aufgewachsen sind, fragen: Und, warst du wieder auf Heimaturlaub?

Nicht immer braucht es eine Sonderbezeichnung

Manchmal reicht es, sich zu überlegen, wie man sonst sagen würde.

In den Fällen, in denen es wirklich eine Bezeichnung braucht, ist es wichtig, möglichst eine zu wählen, die vom Gegenüber als zutreffend und achtsam empfunden wird.

Auch wenn man es selbst nicht so meint mit dem Ausdruck, den man ursprünglich verwenden wollte, kann dieser für das Gegenüber verletzend sein. Das Gegenüber hat die Deutungshoheit und bestimmt, wie sich ein Ausdruck anfühlt.

Manche verwenden für sich selbst Bezeichnungen, die untereinander ok sind. Wenn jedoch andere Menschen diese verwenden, können sie als abwertend, paternalistisch oder respektlos empfunden werden.

Was darf ich denn überhaupt noch sagen?

Zugegeben, es ist schwierig! Vor allem auch, weil sich der Unterton von den noch so neutralen Bezeichnungen mit der Zeit oft ins Stigmatisierende verändert.

Hilfreich ist es, sich zunächst zu fragen: Brauch‘ ich eine Bezeichnung? Würde ich auch bei meiner „Ingroup“ eine Bezeichnung verwenden?

Und dann, wenn man tatsächlich einen Ausdruck benötigt, das Gegenüber befragen, welche Bezeichnung sie gerne hören würden.

Schwierig ist es auch, weil viele in recht homogenen Umgebungen aufgewachsen sind und ihr Weltbild nun umgeordnet werden will. Und weil man sich immer wieder Mal auch Klarheit wünscht.

Es gibt nicht nur den Rassismus, der abwertend wirkt, sondern auch das Gegenteil: den Positiven Rassismus. Nämlich die Bevorzugung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe beispielsweise.

Klingt positiv, ist jedoch ebenso belastend

Weil es wieder nicht um den Menschen geht, sondern weil man auf sein Äußeres reduziert wird.

Positiver Rassismus passiert beispielsweise, wenn geflüchtete Schüler*innen, die gute Leistungen erbringen, als Vorbild verwendet werden, an dem man sich ein Beispiel nehmen soll.

Dabei geht es dann nicht um sie, als Menschen mit all ihren Eigenschaften. Sondern als Kategorie.

Darüberhinaus wird betont, dass sie nicht von hier sind. Die anderen sind.

Sie werden auf ihre nicht-inländische Herkunft reduziert. Darauf, dass Deutsch nicht ihre Muttersprache ist. Und auf ihre Leistung.

Der Mensch in ihnen ist dabei nicht besonders wichtig.

Das empfinden viele als Kränkung.

Darüber hinaus wird Lob häufig als manipulierend empfunden. Und setzt unter Druck.

Auf der anderen Seite macht es auch etwas mit den anderen Schüler*innen. Anstatt das Miteinander zu fördern, wird damit eher Rassismus gezüchtet.

Da mögen sich so manche fragen: Was darf ich denn überhaupt noch sagen?

Rassismus ist für Menschen heller Haut-und Haarfarbe auch aus einem anderen Grund so ein schwieriges Thema:

Die schlimmste Beschuldigung nach „Du Egoist!“ ist: „Du Rassist!“

Kaum jemand möchte ein Rassist sein. Niemand würde sich selbst als Rassist bezeichnen, auch die nicht, die rassistisch denken und handeln.

Viele bemühen sich sehr um Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen und vermeiden es, vorsätzlich rassistisch zu sein.

Manche gehen hin und wieder so weit, ihre eigenen Grenzen zu vernachlässigen, um ja nicht als Rassist beschimpft zu werden. Es würde zu tief treffen.

Und weil es zu sehr schmerzt, vermeiden es manche auch, über ihre Gedanken, Aussagen und Handlungen zu reflektieren: Um nicht einmal vor sich selbst zugeben zu müssen, dass ihre Haltung wertend ist und das Gegenüber auf die Herkunft oder seine Vorfahren reduziert. Nicht zu reflektieren, macht die Sache nur noch schlimmer.

Robin DiAngelo beschreibt diese Verletzbarkeit der Weißen in ihrem Kurzvideo Debunking The Most Common Myths White People Tell About Race

Es ist wichtig, zu wissen, dass wir Menschen nie vorurteilsfrei sind

Als Menschen brauchen wir Orientierung. Vorurteile helfen uns, die Welt um uns einzuordnen und zu verstehen.

Das Wichtige dabei ist, dass wir uns bewusst sind, wenn wir in Vorurteilen denken. Dass wir wissen, dass das nicht DIE Wahrheit ist, sondern unser momentanes „Arbeits-Konzept“, das wir wieder verwerfen, wenn wir es besser wissen.

Das erfordert Neugierde, Offenheit, Staunen. Es erfordert, dass wir wie Forscher*innen immer wieder mit „neuen Augen“ hinschauen. Und mehr lernen und wissen wollen. Auch über uns selbst.

Dazu braucht es auch ein gewisses Maß an Kritikfähigkeit – ohne dass wir in Selbstgeißelung verfallen.

Wir haben verlernt, Fehler zu machen und daraus zu lernen

Ohne uns zu schämen.

So wie Thomas Alva Edison durch Fehlermachen nach 9000 Versuchen die Glühlampe erfand. Nach dem 1000. Versuch sprach sein Umfeld vom Scheitern. Edison meinte darauf: „Ich bin nicht gescheitert. Ich kenne jetzt 1000 Wege, wie man keine Glühlampe baut.“

Das Leben und Arbeiten im interkulturellen Kontext gleicht immer wieder den ersten Gehversuchen.

Wenn man nicht bereit ist, in Fettnäpfchen zu treten – was unvermeidbar ist – wird man kaum Handlungssicherheit gewinnen. Eine Handlungssicherheit, die die Würde bewahrt – vom Gegenüber und einem selbst. Oder wie es der Neurobiologe Gerald Hüther ausdrückt: „Verletzt nicht jeder, der die Würde eines anderen Menschen verletzt, in Wirklichkeit seine eigene Würde?“

Das Schöne ist: Jede Begegnung ist ein Abenteuer, bei dem es Unmengen an Spannendem zu lernen gibt.

Wenn Sie sich fragen: Was darf ich überhaupt noch sagen? und Sie mehr über das Thema erfahren wollen, lesen Sie den Blogartikel Sollten sich nicht die Muslime an die Umgangsformen hierzulande anpassen?

 

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2 Kommentare

  1. Nina

    Sehr schön. Wir müssen alle an uns arbeiten. Auch ich ertappe mich ab und an beim positiven Rassismus. Zuletzt dabei, als der Impfstoff von Biontech von türkischen Einwandern entwickelt wurde. Da habe ich mich gefreut, vor allem auch in dem Wissen, dass sich Parteien wie die AfD und deren Folgschaft darüber ärgern wird. Richtig war es trotzdem nicht.
    Man meint es an sich gut, doch vergisst, dass der Mensch nicht im Vordergrund steht, nicht die Herkunft.

    Danke, dass ich wieder darauf aufmerksam gemacht wurde.

  2. Jaqueline Eddaoudi

    Liebe Nina,

    ich glaube, das ist für jeden von uns ein lebenslanger Prozess.

    Es ist auf jeden Fall eine große Freude zu hören, dass Sie den Mut haben, sich immer wieder auf die Achtsamkeit einzulassen.

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