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Man muss doch einen Plan haben!

Es gibt Kulturen, die gerne im Voraus planen. Und andere Kulturen, die im Moment leben. In den Tag hinein zu leben, macht Vertreter der ersten Gruppe unrund, die am liebsten schreien möchten: „Aber, man muss doch einen Plan haben!“ Während Vertreter der zweiten das verplante Leben viel zu eng finden.

Doch, warum sind Kulturen so unterschiedlich?

Kulturen leben meistens so, wie es für ihre Lebensumstände am meisten Sinn macht

An Orten mit kälterem Klima beispielsweise muss man sich mehr mit der Natur arrangieren, um im Jahreszyklus durchgehend etwas zu essen zu haben. Der Kulturwissenschaftler Geert Hofstede meinte, dass Gesellschaften, die in einer solchen Umgebung leben, eine größere Überlebenschance haben, wenn sie unabhängiger von Mächtigen sind. Daher erziehen solche Gesellschaften ihre Kinder zu mehr Unabhängigkeit.

In Gegenden mit wärmerem Klima gibt es das ganze Jahr über genügend Essen zu finden. In Gegenden mit besonders kaltem Klima, wie den Polargegenden, ist die Situation beinahe ähnlich wie in wärmeren Gegenden. Man kann kaum etwas anpflanzen, daher hat man die Ernährung fast zur Gänze auf Fisch, Robben, Wale, usw. eingestellt, mit denen man sich auch das ganze Jahr über versorgen kann.

Dieser Aspekt der Ernährung hat vor der Erfindung von Geschäften und Supermärkten das gesamte Verhalten einer Kultur stark beeinflusst. Sich tagtäglich versorgt zu wissen bzw. gezwungen zu sein, vorausschauend zu handeln, prägt eine Kultur.

Man muss doch einen Plan haben!

Besonders gut zu beobachten ist dieser Unterschied bei Kulturen, die lange Zeit schon Ackerbau betreiben bzw. lange Zeit nomadisch leben oder lebten.

Menschen, die Ackerbau betreiben, müssen säen, bewässern, düngen, Unkraut jäten und wieder bewässern, düngen, Unkraut jäten. Wenn im Sommer dann an einem Tag schönes Wetter herrscht, muss schnell geerntet werden, denn am nächsten Tag könnte es bereits regnen.
Dies ist beispielsweise in Südeuropa bereits anders. Da kann man heute oder morgen ernten, da das Wetter im Sommer fast immer schön ist. In Ländern wie Ägypten sind sogar mehrere Ernten pro Jahr möglich.

Für den kalten Winter muss man die Ernte einlegen, in den Erdkeller legen, pökeln oder sonst irgendwie haltbar machen. Von der Ernte muss man Saatkörner für die Aussaat im nächsten Jahr beiseitelegen, selbst wenn das einen entbehrungsreichen Winter bedeutet. Wenn man jetzt verzichtet und sparsam ist, hat man im nächsten Jahr etwas zu essen.

In nomadischen Kulturen ist diese Situation eine andere: Man hat seine Kamel-, Yak-, Schaf-, Rentier- oder Ziegenherde und zieht, wenn die Umgebung abgegrast ist, an einen neuen Ort. An diesem muss man weder säen, noch bewässern, noch düngen, noch Unkraut jäten. Gras und Kräuter für die Tiere sind bereits da, von denen man Fleisch, Milch, Fell, Leder oder Wolle bekommt. Wenn man also etwas benötigt, zieht man an einen anderen Ort, ohne dass man – abgesehen vom Zeltabbau – langfristig vorausplanen oder am neuen Ort großen Aufwand betreiben müsste.

Nomadisch lebende Völker wie Inuit, Berber, Samen, Turkvölker oder Aborigines finden oder fanden sich – abgesehen von den Seenomaden – in Steppe, Tundra, Wüste und Eiswüste beispielsweise in den Polargebieten, Prärien, in Patagonien, Sibirien, asiatischen Steppen und Wüsten, in der Sahara, am Sinai und auf der arabischen Halbinsel und Australien.

Wenn sich die Umstände wandeln, wandelt sich auch meistens die Kultur.

Kultur braucht jedoch Zeit, um den Wandeln nachzuvollziehen und mit den Veränderungen Schritt zu halten

Und so sieht man auch in unserer modernen Welt, in der immer weniger Menschen Ackerbau betreiben oder als Nomaden leben, Verhaltensweisen, die ihren Ursprung in der Lebensart in der Vergangenheit haben.

Geert Hofstede nennt das langfristige Orientierung versus kurzfristige Orientierung. Als sehr langfristig orientiert erachtet Hofstede China mit 86 Punkten. Als sehr kurzfristig Ghana mit 4 Punkten.

Deutschland hat seinen Forschungen nach 83 Punkte, die Schweiz 74 und Österreich 60.
Bosnien 70, Türkei 46, Iran 14 und Ägypten 7.

Wie man sich vorstellen kann, ist in langfristig orientierten Kulturen Sparsamkeit eine wichtige Tugend. In kurzfristig orientierten Kulturen ist hingegen Großzügigkeit eine geschätzte Charaktereigenschaft. Denn in nomadisch lebenden Gesellschaften beispielsweise war das Überleben sehr von der Gastfreundschaft von anderen Stämmen abhängig.

In diesen Kulturen war man auch schnelle Resultate gewohnt, da zum Beispiel das Gras für die Tiere bereits da war und nicht angepflanzt werden musste. In Ackerbaukulturen hingegen war durch die Umstände das Durchhaltevermögen gefordert. Dieses ist daher auch eine Priorität in der Kindererziehung, während Kinder aus kurzfristig orientierten Kulturen angehalten werden, die Traditionen zu wahren, auf die man sehr stolz ist.

Langfristig orientierte Kulturen hingegen sind bestrebt, von anderen Kulturen zu lernen. Hier ist die Anpassungsfähigkeit und die Ausrichtung auf einen höheren Zweck von Bedeutung, während bei kurzfristig orientierten Kulturen Status und persönliche Stabilität wichtig sind.

In langfristig orientierten Kulturen geht man davon aus, dass Erfolg auf Bemühen beruht. Deswegen zählt Leistung besonders viel.
In kurzfristig orientierten Kulturen nimmt man an, das Erfolg Glücksache ist. Hier zählt das Ansehen.

Was das für das Zusammenleben hierzulande bedeutet, sehen Sie in den folgenden Abschnitten.

Schule

Die Schule hierzulande ist ein Bereich, der besonders langfristig orientiert ist. Bereits Kindern in der Grundschule versucht man verständlich zu machen: „Wenn du jetzt brav lernst, bekommst du später, wenn du groß bist, einen guten Job.“ Es ist eine beachtliche Leistung für Kinder, ihre Spielzeit jetzt einzuschränken und sich mit Aufgaben zu beschäftigen, damit sie ein Jahrzehnt später Vorteile genießen können.

Das fällt den meisten Kindern und Jugendlichen aus langfristig orientierten Kulturen schon schwer und Schüler*innen aus kurzfristig orientierten Kulturen noch mehr. Wie Kinder damit umgehen, sehen Sie im Kurzvideo Süßigkeiten-Experiment: Welche Kinder können widerstehen?

Im Übrigen ist es auch für uns Erwachsene schwierig, vorübergehend auf Annehmlichkeiten zu verzichten, selbst wenn der Verzicht auf lange Sicht Vorteile hätte.

Gesundheitsbereich

Prävention ist ein Konzept, das in langfristig orientierten Kulturen funktioniert. In kurzfristig orientierten Kulturen ist es eher unüblich, beispielsweise auf gewisse Lebensmittel zu verzichten oder auf einen gesunden Lebensstil zu achten, nur damit man irgendwann später vielleicht gewisse Krankheiten nicht entwickelt. Auch bei Krankheiten, die mit keinen großen Schmerzen einhergehen, wie zum Beispiel Diabetes, fällt es Menschen aus diesen Kulturen manchmal schwer, Diäten einzuhalten.

Für die Prävention benötigt man hier andere Aspekte, die motivieren, als zu sagen: „Wenn Sie sich daran halten, bleiben Sie länger gesund!“

Was motiviert, ist viel eher:

  • Wenn das andere in der Community auch machen
  • Was das Ansehen erhöht
  • Was eine Autoritätsperson gut findet

Lesen Sie hier mehr über Muslim*innen im Gesundheitsbereich: Muslimische Patient*innen

Oder holen Sie sich Anregungen für das Unterrichten von muslimischen Kindern: Wissenswertes über muslimische Schüler*innen in deutschsprachigen Schulen

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