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Muslimische Patient*innen

Im Krankenhaus können, trotz bestem Willens und Bemühens um muslimische Patient*innen, sprachliche und kulturelle Missverständnisse auftreten. Diese führen dann häufig zu Widerständen, Non-compliance, Komplikationen, Forderungen oder rechlichen Schwierigkeiten.

Das Problem dahinter ist, dass es oft an Hintergrundwissen fehlt und die ausgesandten Zeichen nicht richtig gedeutet werden.

Das ist wie bei Hund und Katze. Wenn die Katze mit dem Schwanz wedelt, könnte der Hund meinen, sie sei in Spiellaune. Ist sie aber nicht. Das kann der Hund nicht wissen, weil er ja von sich und seiner Zeichensprache ausgeht.

Das Gleiche geschieht in der interkulturellen Kommunikation, wie in folgendem Video anschaulich gezeigt wird: https://www.youtube.com/watch?v=7QLZ1ImRl6I&feature=youtu.be&fbclid=IwAR1Rdeq2rhYaXJQwNuvmYCiEMt7DTL0HVwkL-FfmclC9u2fZ2DL1fu3uPh0

Darüber hinaus gibt es große Unterschiede im Gesundheitssystem zwischen den verschiedenen Ländern. So können sich die Erwartungen sehr stark voneinander unterscheiden.

Das kann die Arbeit im interkulturellen Umfeld sehr herausfordernd machen. Doch es gibt Möglichkeiten, sich diese Arbeit wesentlich zu erleichtern.

Wenn man sich – wie im medizinischen Bereich – noch dazu im interkulturellen Setting intensiv um andere Menschen kümmert, ist die oberste Priorität:

Gut auf sich selbst schauen

Für interkulturelle Arbeit ist es unumgehbar, dass man auf sich, seine Gefühle, seine Bedürfnisse und seine Grenzen achtet. Tut man dies nicht, wird das Miteinander sehr herausfordernd und man wird leicht überfordert und missmutig. Das kreidet man dann häufig anderen an.

Das Versorgen und Pflegen in Hinblick auf muslimische Patient*innen kann durch die interkulturellen Herausforderungen sehr anstrengend sein.

Lässt man sich jedoch auf die Lernerfahrungen dabei ein, kann dies einem die Arbeit auf lange Sicht sehr erleichtern. Was Sie darüber hinaus davon haben, lesen Sie in folgendem Artikel: https://dieorientalischewelt.com/was-habe-ich-davon-wenn-ich-mich-mit-der-orientalischen-welt-auseinandersetze/

Es gibt zwar keine Patentrezepte, wohl aber sehr viele individuelle Lösungen. Für diese ist es wichtig, zunächst einmal das Verhalten der Person gegenüber zu entziffern.

Dies kann mitunter recht schwierig sein, weil die muslimische Welt nicht nur sehr groß ist – mit ca. 50 Ländern und 1,6 Milliarden Muslimen -, sondern auch sehr vielfältig. Und darüber hinaus auch sehr widersprüchlich.

Doch:

Nicht jedes unverständliche Verhalten hängt mit Kultur und Religion zusammen

Die Ursache kann auch in schwierigen Umständen, Schmerzen oder Angst liegen. Oder einfach darin, dass die Person letzte Nacht schlecht geschlafen hat.

Dennoch finden sich rote Fäden und Aspekte, die immer wieder auftreten können. An diesen kann man sich orientieren, immer jedoch mit dem Fokus auf dem Menschen gegenüber. Und in dem Bewusstsein, dass diese rote Fäden nur Anhaltspunkte sind.

In folgenden Bereichen ist die Vielfalt in Sicht- und Herangehensweisen besonders groß:

Krankheitsverständnis

Für viele Muslime bedeutet Krankheit, dass ihnen etwas fehlt. Sie vertrauen einerseits auf traditionelle Heilmittel und religiöse Heilweisen. Andererseits gibt es auch die Tendenz, westliche Medizin in einem sehr hohen Ausmaß in Anspruch zu nehmen. Manchmal verspricht man sich von großen Tabletten oder Injektionen mehr Erfolg als von kleinen Medikamenten.

Schmerzen

Schmerzen werden von vielen Muslimen ganzkörperlich erlebt. Sie still zu ertragen, gilt nicht unbedingt als Tugend. In vielen muslimischen Ländern hat man durch den Ausdruck von Kranksein und Schmerz den Rahmen, die Angehörigen wissen zu lassen, wie intensiv das Erlebte gerade ist. Dadurch benötigt man häufig keine anderen Ventile, wie beispielsweise ein Burnout.

Schmerzäußerungen haben nicht immer einen physischen Grund. Es kann sein, dass sich durch den körperlichen Schmerz auch seelische zu lösen beginnen.

Nacktheit

Den Begriff der Nacktheit gibt es in jeder Kultur. Was jedoch als nackt gilt, kann von Kultur, Epoche, Persönlichkeit oder Alter abhängen. Für Frauen wie Männer ist es bei Untersuchungen eine große Erleichterung, wenn sie so bedeckt sind, dass ihre Würde bewahrt bleibt.

Berührung

In muslimischen Kulturen berührt man sich unter gleichgeschlechtlichen Personen äußerst häufig. Diese Berührung vermissen viele, die hier leben, sehr. Und das vor allem dann, wenn sie beispielsweise durch einen Krankenhausaufenthalt längere Zeit von ihrem sozialen Umfeld getrennt sind.

Besuch

Hierzulande geht man üblicherweise davon aus, dass kranke Menschen Ruhe brauchen. In vielen muslimischen Kulturen geht man davon aus, dass Kranke zum Gesundwerden menschlichen Kontakt brauchen. Deswegen sind Krankenhausbesuche besonders wichtig. Je mehr Besuch kommt, umso wertgeschätzter fühlt man sich.

Prävention

Viele muslimische Kulturen fokussieren eher auf den Moment und weniger auf langfristige Perspektiven. Das kann die Motivation für Krankheitsprävention etwas schwierig machen. Was Muslim*innen im Bereich Gesundheitsförderung jedoch motiviert, ist Folgendes:

  • alles, was vertraut ist
  • was eine vertrauenswürdige Instanz sagt
  • alles, was den eigenen Status hebt
  • was für die Gemeinschaft gut ist
  • alles, was andere Mitglieder der Gemeinschaft ebenso machen

Einige Aspekte, die in Bezug auf muslimische Patient*innen im Krankenhaus wichtig zu bedenken sind, sind folgende:

Gesundheitssystem

Das Konzept von niedergelassenen Ärzten gibt es in der muslimischen Welt kaum. Im Krankheitsfall wendet man sich an ein polyklinisches Zentrum. In vielen muslimischen Ländern sind Krankenschwestern (ja, es sind hauptsächlich Frauen) für medizinische Tätigkeiten zuständig. Für die Pflege, die Versorgung mit Essen, die Bereitstellung von Medikamenten, die  Ausstattung mit Bettwäsche, Handtüchern und Seife, usw. hat die Familie zu sorgen. Deswegen ist es wichtig, dass immer ein Familienmitglied anwesend ist.

Kollektivismus

Viele muslimische Kulturen sind kollektivistisch orientiert. Das bedeutet, dass das Wohl der Gemeinschaft wichtiger ist, als das Wohl der einzelnen Person. Daher werden Entscheidungen hauptsächlich danach getroffen, wie sie sich auf das Wohl der Gemeinschaft auswirken. Oft kann man einen relativ großen Gruppendruck beobachten. In kollektivistischen Kulturen bemüht sich der Einzelne üblicherweise, ein gutes Mitglied der Gemeinschaft zu sein, um nicht aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden.

Machtdistanz

In den muslimischen Ländern herrscht generell eine sehr steile Hierarchie. Hier steht man üblicherweise über jemanden oder unter jemandem. Über jemandem zu stehen, erfordert, sich der Zeichen der Macht (Körpersprache, innere Haltung, Statussymbole, usw.) zu bedienen, für die Menschen aus muslimischen Kulturen meistens sehr feine Antennen haben. Steht man unter jemandem, erwartet man sich eine gewisse Unterwürfigkeit.

Der partnerschaftliche Umgang hierzulande ist für manche Menschen aus muslimischen Kulturen ungewohnt und kann als Unterwerfungsgeste oder Inkompetenz missverstanden werden.

 

All diese Aspekte mögen im Alltag schwierig zu berücksichtigen scheinen. Und es bedeutet tatsächlich einen Mehraufwand, sich zu bemühen, unvertraute Verhaltensweisen nachzuvollziehen.

Diesen Mehraufwand jedoch investieren Sie hauptsächlich in sich – denn IHRE Arbeit wird auf lange Sicht einfacher.

Der schnellste Weg dahin liegt in einem Paradoxon: Je mehr Zeit Sie sich für den Aufbau einer Beziehung zu Ihren muslimischen Patient*innen nehmen, umso leichter wird Ihr Arbeitsalltag.

So meinte eine Seminarteilnehmerin: „Wenn ich mir am Anfang meiner Nachtschicht für meine Patient*innen Zeit nehme, habe ich die restliche Nacht Ruhe.“

Wenn Sie mehr erfahren wollen, wie Sie sich den Arbeitsalltag mit muslimischen Patient*innen erleichtern können, tragen Sie sich im Newsletter ein oder lesen Sie das Buch „Die muslimische Welt in Krankenhaus und Gesundheitswesen“ https://www.buch7.de/produkt/die-muslimische-welt-in-krankenhaus-und-gesundheitswesen-jaqueline-eddaoudi/1034600566?ean=9783943411348

 

Weitere Blogartikel zum Gesundheitsthema lesen Sie hier: Für Gesundheits-Expert*innen

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