Menü Schließen

Warum so viele am ersten Jänner Geburtstag haben

In diesen Zeiten, in denen immer mehr Listen auszufüllen und Personaldaten einzugeben sind, mögen sich manche fragen, warum so viele am ersten Jänner Geburtstag haben.

Die Kurzversion einer Antwort ist: Zahlen haben in vielen muslimischen Kulturen nicht die gleiche Wichtigkeit wie in der westlichen Welt.

Wichtiger als die Daten ist der Mensch

In vielen muslimischen Kulturen zählt die Beziehungsebene wesentlich mehr als die Sachebene. Deswegen legt man hier auch auf den Aufbau von Beziehungen so viel Wert.

Gastfreundschaft, Großzügigkeit und Interesse am Gegenüber werden hoch geschätzt. Wenn man eine Bitte hat, Geschäfte machen oder ein Problem lösen will, verwendet man den größten Teil der Zeit und der Bemühungen zuerst auf die Beziehungspflege. Der Rest löst sich dann meist mehr oder weniger von selbst.

Die Bereiche, in der man in der westlichen Welt Zahlen, Daten und Fakten benötigt, werden in der muslimischen Welt meist mit Beziehung gelöst.

So gibt es in manchen muslimischen Ländern keine Adressen im mitteleuropäischen Sinn oder sie werden kaum verwendet. Es reicht zumeist die Angabe des Namens, des Ortes und des Stadtbezirks. Wenn der Postbote ein Schreiben zustellen soll, fragt er im jeweiligen Stadtteil nach, wo die betreffende Familie wohnt.

Wenn in Mitteleuropa eine Person keinen Meldezettel hat, ist sie so gut wie unauffindbar. In vielen muslimischen Ländern kann man sich im Fall von Bedrohungen gar nicht so gut verstecken, ohne dass die Menschen in der Umgebung einen nicht wahrnehmen würden. Dazu braucht man weder Adresse, noch Zahlen, noch Daten.

Für viele Muslim*innen, die erst neu nach Mitteleuropa gekommen sind, ist es schwierig nachzuvollziehen, warum man hierzulande so genau ist mit den Zahlen. Insbesondere mit den Geburtsdaten.

Warum so viele am ersten Jänner Geburtstag haben

In manchen ländlichen Gegenden der muslimischen Welt kommen Babys zu Hause auf die Welt. Häufig wird das Baby erst dann registriert, wenn der Vater das nächste Mal in die Stadt kommt.

Das Geburtsdatum ist dann häufig das Registrierdatum. Manche wissen jedoch auch, wann sie tatsächlich geboren sind.

In vielen Dokumenten wird nur das Geburtsjahr vermerkt. Wird nach einem genaueren Datum gefragt, nimmt man der Einfachheit halber den ersten Jänner. Das ist der Grund dafür, warum so viele am ersten Jänner Geburtstag haben.

In manchen Ländern ist der erste Jänner deshalb so beliebt, weil Kinder mit diesem Geburtsdatum früher in die Schule geschickt werden können.

Auch Kalender sind in der muslimischen Welt nicht so gebräuchlich wie in der westlichen Welt

Wenn man keinen Kalender hat, ist es auch schwierig, zu wissen, was das aktuelle Datum ist. Insbesondere in Gegenden, in denen sich die Jahreszeiten, an denen man sich orientieren könnte, nicht so stark voneinander unterscheiden.

In Zeiten der Handys wird das etwas einfacher. Doch auch hier gibt es Hürden: Es gibt die islamische Zeitrechnung, die persische Zeitrechnung, usw. Die Umrechnung von Zeitrechnungen, die sich am Mond orientieren, in Sonnenkalenderdaten und umgekehrt ist recht komplex.

Auch das Zeitverständnis kann recht unterschiedlich sein. In der westlichen Welt kann das Gefühl aufkommen, die Uhr würde vorgeben, wann man Hunger hat, wann man von Freunden aufbrechen sollte oder wann es Zeit ist, schlafen zu gehen. In den muslimischen Kulturen achtet man mehr auf die innere Uhr.

Von der muslimischen Welt heißt es, dass der Westen die Uhr besäße und sie die Zeit.

Der Anthropologe Edward Hall nennt das polychrone und monochrone Zeitorientierung.

Mitteleuropa zählt zu den monochronen Kulturen. Hier erachtet man Zeit als begrenzt verfügbar – man muss sparsam mit ihr umgehen und sie gut nutzen. Zu spät kommen verärgert andere.

Viele muslimische Gesellschaften werden als polychron erachtet. Hier finden Tätigkeiten nicht hintereinander statt, sondern gleichzeitig – Arbeit und Familie, Fernsehen und Gäste, Geschäftsessen und private Telefonate. Gut dargestellt ist das im folgenden Kurzvideo: linear-active vs. multi-active

Auch später als 30 min zum vereinbarten Termin zu kommen, zählt häufig als pünktlich.

In manchen Ländern beispielsweise fahren Busse dann ab, wenn sie voll sind. Also können sie nie zu spät dran sein.

Wie es sich anfühlt, im polychronen Zeitgefühl zu leben, erfahren Sie im Blogartikel: Stille Zeit auf orientalisch

Teile diesen Beitrag in den sozialen Medien oder sende eine Mail:

Gratis Leitfaden: Zusammenarbeit mit muslimischen Eltern

Kommen Sie mit muslimischen Eltern in Kontakt, damit Sie gemeinsam für die Kinder das Beste erreichen!
Ich übersetze für Sie die muslimischen Kulturen.

2 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert