Wie wird mit psychischen Themen in muslimischen Familien umgegangen? Das hängt sehr stark von der jeweiligen Familie ab.
In so ziemlich allen Kulturen sind psychische Themen mehr oder weniger Tabuthemen. Doch langsam beginnt man in vielen Kulturen darüber zu reden.
In Marokko beispielsweise gibt es eine wöchentlich ausgestrahlte Fernsehsendung mit dem Titel „Ohne Scham“, in der Menschen darüber reden, was ihnen in ihrem Leben widerfahren ist und wie sie sich dabei gefühlt haben.
Generell sind im Moment jedoch viele Gegenden der muslimischen Welt Krisengebiete. In denen es in erster Linie um das bloße Überleben geht. Da bleibt kaum Raum, um darüber nachzudenken, wie es einem geht. Diesen Luxus hat man nur an Orten, an denen einigermaßen Ruhe herrscht.
Gleichzeitig öffnen sich in Krisengebieten besonders viele psychische Themen. Und viele neue Themen entstehen. Unter dem Druck der Geschehnisse geschehen noch mehr Verletzungen in der Familie, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft als üblicherweise.
Wie man aus der Nachkriegszeit in Europa weiß, wird oft auch nach der Krise einfach nur weitergelebt und das Erlebte verdrängt
So ist das auch bei vielen Muslim*innen der Fall, die nach Europa geflüchtet sind und hier ein neues Leben begonnen haben. Wenn man nachfragt, heißt es oft: „Wir öffnen dieses Thema nicht!“
Andererseits gibt es sehr wenige geeignete Therapieangebote für Geflüchtete, insbesondere außerhalb der größeren Städte.
Einmal in Sicherheit in einem neuen Land können dennoch neue Traumata entstehen. Beispielsweise durch Gefühle der Entwurzelung oder der Fremde. Oder durch die Tatsache, dass man nie wieder in sein Heimatland zurück kann. Oder seine Familie nie wieder sieht. Möglicherweise auch durch die ständige Angst um die Familie, die in einer gefährlichen Situation zurückgeblieben ist. Oder durch eine drohende Abschiebung. Oder dadurch, dass man im neuen Land wieder an der untersten Stelle der sozialen Leiter beginnt.
Was jedoch als krank oder normal gilt, wird von jeder Gesellschaft selbst definiert.
Auch hierzulande geht es in den letzten 2 Jahren in erster Linie um das Überstehen der Krise. In der Öffentlichkeit geht es noch eher wenig darum, wie es den einzelnen Menschen geht und wie sie die Krise seelisch bewältigen können.
Man wird sehen, ob zumindest hinterher Raum geschaffen wird für das seelische Verarbeiten des Erlebten.
Wie wird mit psychischen Themen in muslimischen Familien umgegangen?
Psychische Erkrankungen sind in vielen muslimischen Kulturen ein Tabuthema.
Wenn es an die Öffentlichkeit gelangt, dass jemand in der Familie psychisch krank ist, kann es passieren, dass die gesamte Familie am Rand der Gemeinschaft landet.
Manche wollen dann mit der Familie nichts mehr zu tun haben. Es ist schwierig, Heiratspartner zu finden. Manche Eltern wollen ihre Kinder nicht mehr mit Kindern aus dieser Familie spielen lassen.
Oft ist man sich nicht der Zusammenhänge zwischen Traumata und psychischen Folgeerscheinungen bewusst. Sondern man nimmt häufig an, dass die betreffende Person verrückt oder besessen ist.
Manche gehen davon aus, dass dies durch den Bösen Blick anderer geschehen kann. Weil diese beispielsweise neidisch sind.
Auch wenn psychische Themen in vielen Kulturen tabu sind, gibt es in jeder Kultur Traditionen, die der seelischen Gesundheit dienen.
In den muslimischen Kulturen ist das beispielsweise der Umstand, dass man üblicherweise immer Menschen um sich hat, mit denen man reden kann. Einsamkeit gibt es kaum.
Dadurch hat man beinahe zu jeder Zeit die Möglichkeit, sich schwierige Gefühle von der Seele zu reden
Gleichzeitig ist in einigen Sprachen der muslimischen Welt die Bandbreite der Ausdrücke für Gefühle eher schmal. Beispielsweise wird im Persischen und in einigen arabischen Dialekten das Wort für „traurig“ und „wütend“ beinahe synonym verwendet.
Die einzelnen Gefühle jedoch werden häufig deutlich zum Ausdruck gebracht.
Durch den Fokus auf Beziehung in der muslimischen Welt wird durch das In-Beziehung-bleiben und die Beziehungspflege manchen psychischen Themen vorgebeugt.
Sollte es doch zu psychischen Schwierigkeiten kommen, hat jede Kultur eigene Wege, damit umzugehen.
Die Gesprächstherapie beispielsweise, die in der westlichen Welt große Erfolge erzielt, kommt in der muslimischen Welt nicht so gut an. Gespräche sind hier oft so alltäglich, dass man das nicht als Therapie empfindet.
Sucht man in der muslimischen Welt Hilfe bei einem psychischen Problem, findet man häufig nur wenig außer Psychopharmaka. Diese werden jedoch oft sehr kritisch betrachtet, aus Angst, davon süchtig zu werden. Andere Therapieformen sind dort eher selten und daher in der Bevölkerung nicht sehr bekannt.
Muslim*innen, denen es seelisch nicht gut geht, ziehen sich manchmal in ihre Religion zurück. In den regelmäßigen Gebeten können sie ihr Gleichgewicht wieder finden. In den Zwiegesprächen mit Gott können sie ihre Sorgen an die höhere Macht übergeben.
Manche suchen auch Hilfe bei einer religiösen Autorität wie einem Fqi, Hoca, Marabout, usw.
Manch andere gehen zu einem Heiler oder einer Heilerin. Mit Gegenzauber, Amuletten oder Ritualen unterstützen sie die Person dabei, wieder in ihre Mitte zu kommen.
In manchen muslimischen Ländern gibt es Zusammenkünfte, bei denen sich die Anwesenden in Trance tanzen. Oft hat dies eine befreiende, heilende Wirkung.
Im Alltag gibt es außer den regelmäßigen Gebeten auch andere Gepflogenheiten, die für inneres Gleichgewicht sorgen
So gibt es beispielsweise in der Türkei das Keyif. Dabei sitzt man beispielsweise bei einem Glas Tee und lässt seine Seele baumeln. Mehr darüber erfahren Sie in diesem Kurzartikel: Mein Berlin – Keyif genießen
Wie wird mit psychischen Themen in muslimischen Familien umgegangen?
Wie mit anderen Themen in der muslimischen Welt auch umgegangen wird: auf vielfältige, manchmal widersprüchliche Art und Weise.
Viele Muslim*innen haben Erfahrungen in mehreren Kulturen – sind oft einheimisch, zweiheimisch oder mehrfach heimisch. Aus welchen Kulturen sie welche Elemente in ihr Leben integrieren, kann man nur herausfinden, wenn man mit ihnen in Beziehung geht und mehr über die jeweilige Person erfährt.
Welche Bedeutung Gesundheit für Muslim*innen ganz generell hat, erfahren Sie in diesem Blogartikel: Welche Bedeutung hat Gesundheit für Muslim*innen?
Kommen Sie mit muslimischen Eltern in Kontakt, damit Sie gemeinsam für die Kinder das Beste erreichen!
Ich übersetze für Sie die muslimischen Kulturen.