… und was mache ich dann? Trauma kann sich auf viele verschiedene Arten zeigen. Und gerade dadurch ist es oft gar nicht so leicht zu erkennen. Manchmal verhalten sich Kinder merkwürdig. Doch dass sie traumatisiert sein könnten, daran hat man möglicherweise noch gar nicht gedacht.
Wenn man zum Beispiel das Gefühl hat, beim Deutschlernen geht kaum etwas weiter. Oder ein Kind ist generell unmotiviert. Möglicherweise bemerkt man, dass jemand in der Klasse seit neuestem sehr schnell gereizt ist.
All das können Anzeichen von einem Trauma sein
Durch das dichte Curriculum in der Schule bleibt kaum Zeit, sich mit den Lebenswelten der Kinder auseinanderzusetzen und sich Fragen zu stellen wie:
– An welchen Orten hat das Kind schon gelebt?
– Wie ist es hierher gekommen?
– Wie war seine Geburt?
– Unter welchen Lebensumständen lebt es derzeit?
– Fehlt ein Familienmitglied?
– In welchen Umständen leben die Verwandten?
– Haben Sie Kontakt zu ihnen? Können sie sie sehen?
– Was bewegt die Kinder gerade?
– Was konsumieren die Kinder in den Medien?
– Wie sicher ist der Schulweg?
– Sind die Familienmitglieder gesund?
– Welche Herausforderungen haben die Eltern gerade?
– Wie läuft der Übergang von der Kindheit in die Jugendzeit?
– Haben sie einen Aufenthaltstitel oder besteht die Gefahr, dass sie das Land wieder verlassen müssen?
– Haben die Eltern ein stabiles Einkommen? Reicht es aus?
– Gibt es häufig Streit in der Familie?
– Fühlen sich die Kinder in ihrer Familie geborgen, gesehen, versorgt, wertgeschätzt und beschützt?
– Erleben die Kinder die Schule als sicheren Ort?
– Was erleben die Schüler*innen in Betreuungseinrichtungen, bei den Sporttrainings, beim Ausüben ihrer Hobbys?
– Haben Freunde der Kinder Herausforderungen, für die sie noch zu jung sind?
– Wie ist die Nachbarschaft der Kinder?
– Haben die Kinder Freunde? Wie ist die Beziehung zu ihnen?
Es gibt viele Situationen, die ein Trauma auslösen können
wie Flucht, Krieg, Übergriffe aller Art, Naturkatastrophen, zerrüttete Familienverhältnisse, Zerfallen der Gesellschaft, Todesschwadronen und Entführungen, Leben in der Fremde, schwere Erkrankungen, Todesfälle (auch von Haustieren), Gewalt oder Streit in der Familie, strukturelle Gewalt und Ungerechtigkeiten, unsichere Aufenthaltsverhältnisse, Zeuge sein von Gewalt, Hunger, seelische Vernachlässigung, Rassismuserfahrungen, manche medizinische Behandlungen, manche Rituale, Perspektivlosigkeit, Erziehung, Gewalt bei der Geburt und vieles mehr.
Nicht jedes schlimme Ereignis jedoch muss ein Trauma in einem Kind auslösen. Es hängt von der Fähigkeit eines Kindes ab, mit schwierigen Erlebnissen umzugehen und davon, wie viel Unterstützung es bekommt. So kann bei dem einen Kind etwas vermeintlich Harmloses wie z.B. ein Arztbesuch ein Trauma auslösen während ein anderes Kind mit beispielsweise Kriegserlebnissen recht gut umgehen kann.
Die Reaktionen auf eine Bedrohung können folgende sein:
– Kampf
– Flucht
– Erstarren
– Abspaltung in verschiedene Persönlichkeiten
Vor allem Frauen und Mädchen reagieren auf Bedrohungen auch oft so, dass sie sich miteinander zusammentun, miteinander reden und sich umeinander kümmern – in der Fachsprache oft Tend&Befriend genannt.
Kinder, die herausfordernde Situationen gut verarbeitet haben, hatten meist zumindest einen Menschen um sich, der ein „wissender Zeuge“ – wie es die Psychologin und Autorin Alice Miller nennt – ist. So jemand kann z.B. auch eine Lehrperson sein. Ein „wissender Zeuge“ vermittelt dem Kind das Gefühl, gesehen, gehört und verstanden zu werden. Diese Person wirkt oft wie die Zunge an der Waage, ob ein Kind an Erlebnissen zerbricht oder wächst.
Wie kann man nun wissen, ob ein Kind traumatisiert ist?
Laut Dr. Udo Baer können folgende Verhaltensweisen ein Anzeichen für Trauma
sein:
Wenn ein Kind:
schreckhaft
regungslos
reizbar
aggressiv
durch den Wind
sehr ruhig ist oder
regrediert
ist es wichtig, in Betracht zu ziehen, ob es traumatisiert sein könnte.
Auch Lernstörungen, verminderte Merkfähigkeit, Misstrauen, Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, fehlende Motivation, Schlafstörungen, emotionale Taubheit, übermäßige Wachsamkeit, Gedächtnislücken, Angst vor Neuem, sich wiederholendes Verhalten, Desorientierung, Weggetreten sein, körperliche Schmerzen, Flashbacks, Angst aus unerklärlichen Gründen, Überdrehtheit, Rückzug, Niedergeschlagenheit, Müdigkeit, Kraftlosigkeit, Aggression, Antriebslosigkeit können auf ein Trauma hinweisen.
Manchmal ist ein Trauma gut verdrängt und kann durch Trigger wieder zum Vorschein kommen. Diese Trigger können harmlose Dinge sein wie Gerüche, Flugzeug- oder Hubschraubergeräusche, Türenknallen, Uniformen, Wasser (Schwimmen), Vatertag und im Prinzip jeder andere mögliche Reiz.
Was kann man also tun, wenn man die Vermutung hat, dass ein Kind in der Klasse traumatisiert sein könnte?
Grundsätzlich ist es für Kinder ganz allgemein hilfreich, zu erleben, dass Lehrende an ihnen interessiert sind – jenseits von Schulstoff und Leistung. Zu erfahren, dass da jemand ist, der/die zu einem hält. Der/dem man vertrauen kann.
Dann fällt es den Kindern und Jugendlichen auch in Zeiten von schwierigen Erlebnissen leicht, sich diesen Personen anzuvertrauen.
Wenn dann Kinder von sich aus etwas erzählen, ist es wichtig, sich – wenn möglich – Zeit zu nehmen und den Raum zu halten. Das bedeutet, still zu sein und gleichzeitig voll und ganz da zu sein und zuzuhören. Ohne viel zu sagen. Ohne viel zu fragen. Oder zu kommentieren. Nur ganz Ohr sein. Nicht Worte sind wichtig, sondern die Verbindung. Hier ein wunderbares Kurzvideo dazu von Brené Brown: On Empathy
Wenn Kinder von sich aus nichts erzählen und man aber das Gefühl, dass da innere oder äußere Stürme toben, ist es hilfreich, Möglichkeiten und Gelegenheiten für Kinder zu schaffen, damit sie erzählen können. Beispielsweise Momente, dass sie mit einem allein reden können. Die körpersprachliche Einladung aussenden, dass sie Vertrauen aufbauen können.
Ganz allgemein ist es bei Traumata hilfreich, wenn sich Kinder zwischendurch immer wieder ausreichend bewegen können. Eine Runde Hüpfen in der Klasse. Ein Laufdiktat. Einmal um das Schulgelände rennen. (Vielleicht ist das nicht möglich, aber es gibt ein Trampolin. Oder eine Springschnur.)
Wichtig ist es auch, Anteil zu nehmen am Leben der Kinder. Dazu ist es nötig, auch die Ereignisse in der Welt im Auge zu behalten. Natürlich leben die Kinder hier – aber es beeinflusst sie auch, was in den Ländern passiert, in denen sie ehemalige Nachbarn oder Verwandte haben oder Freunde.
Viele schlimme Erlebnisse verlieren einen Teil ihres Schreckens, wenn da jemand ist, der sehen kann, wie es einem geht. Insofern können Lehrperson eine heilsame Funktion haben. Darüber hinaus bietet Schule durch ihre Kontinuität Stabilität für Kinder, die viel Unsicherheit erlebt haben.
Wie muslimische Familien mit seelischen Schwierigkeiten umgehen, erfährst du hier: Wie wird mit psychischen Themen in muslimischen Familien umgegangen?
Kommen Sie mit muslimischen Eltern in Kontakt, damit Sie gemeinsam für die Kinder das Beste erreichen!
Ich übersetze für Sie die muslimischen Kulturen.