Kulturen lassen sich auch unter dem Aspekt betrachten, ob sie eher mehr Askese beziehungsweise Zurückhaltung leben oder eher mehr Genuss. Sind Muslim*innen streng?
In sehr asketischen Kulturen wird das Leben als hart betrachtet. Man vernachlässigt seine Bedürfnisse, um die Pflichten zu erfüllen, die der Fokus des Lebens sind.
In diesen Kulturen werden laut Geert Hofstede grundlegende menschliche Triebe sichtbarer kontrolliert als in anderen Gesellschaften. Die Menschen dort versuchen, angepasst zu sein.
Während also in asketischen Kulturen die Erfüllung von Wünschen unterdrückt und durch strenge Normen reguliert wird, kann man sich in genussorientierten Kulturen Wünsche relativ frei erfüllen, das Leben genießen und Spaß haben. Glücklichsein, Freiheit und Freizeit haben einen großen Stellenwert. Ziel ist es, ein erfüllendes Leben zu führen.
In asketischen Kulturen geht es mehr darum, Genuss auf später zu verschieben. Es ist hier wesentlich wichtiger, viel im Leben zu erreichen.
In genussorientierten Kulturen lächeln die Menschen häufiger und betrachten die Zukunft optimistischer.
Sowohl die asketischen als auch die genussorientierten Kulturen haben einen wichtigen Fokus. Keine ist besser als die andere. Jede hat ihre eigenen Vor- und Nachteile.
Sind Muslim*innen streng oder lebensfroh?
Ob eine Kultur asketisch oder genussorientiert ist, zeigt sich häufig an alltäglichen Dingen:
Gibt es Sprichwörter wie?:
„Übermut tut selten gut.“
„Ohne Fleiß kein Preis.“
„Erst die Arbeit, dann das Spiel.“
Beginnt in einer Kultur nach ein paar Lebensjahren des Spielens der Ernst des Lebens?
Gibt es eine Fastenzeit?
Wie bunt ist die Kleidung? In Saudi Arabien beispielsweise ist die Kleidungsfarbe der Männer weiß und die der Frauen schwarz. Aber auch die Businesskleidung im Westen ist im Wesentlichen eingeschränkt auf die Farben Schwarz, dunkelblau und grau. Den Frauen wird etwas mehr Farbe zugestanden.
Ist Spielen erlaubt? In Afghanistan beispielsweise war während der Taliban-Herrschaft die bei Groß und Klein beliebte Freizeitbeschäftigung des Drachensteigens verboten.
Wie viel Spielerisches ist hierzulande im Arbeitsalltag erlaubt?
Wie sieht es mit Musik aus? Im Iran zum Beispiel ist es in manchen Städten verboten, im Taxi Musik zu hören. Bei Hochzeitsfeiern sollte dann gegen Mitternacht nicht mehr allzu ausgelassen gefeiert werden.
Grundsätzlich kann man sagen, dass es in hierarchischen Kulturen weniger Genuss gibt. Viele muslimische Kulturen sind sehr hierarchisch.
Sind also Muslim*innen streng?
Geert Hofstede hat anhand seiner Forschungen Ländern Punkte für den Genuss vergeben. Das Land mit den meisten Punkten ist Venezuela mit 100 Genusspunkten. Nach einer Reihe von mittelamerikanischen Ländern ist das Ranking wie folgt:
Nigeria 84
Österreich 63
Saudi Arabien 52
Türkei 48
Iran + Deutschland 40
Marokko 25
Ägypten 4
Pakistan 0
Natürlich ist jede Kultur vielfältig und die Ausrichtung auf Genuss und Askese variiert je nach Persönlichkeit, Gegend und Kontext
Der Fokus hängt jedoch auch von der jeweiligen Situation und Epoche ab. So waren ja beispielsweise in Europa während der letzten rund eineinhalb Jahre genussvolle und das Wohlfühlhormon Oxytozin fördernde Aktivitäten wie Umarmen, Singen, mit Freunden zusammen sein, Essen gehen nur erschwert möglich.
Ein Aspekt, der in asketischen Kulturen immer wieder vorkommt, ist die Sparsamkeit. Man bemüht sich, das Geld zusammen zu halten und Verschwendung zu vermeiden.
Das kann man auch beim Thema Gastfreundschaft beobachten. Im Video Dinge, die Interkulturelle Paare kennen von den Datteltätern wird die iranische und deutsche Gastkultur überspitzt gegenübergestellt. Auf diesem Gebiet wird in der „deutschen“ Kultur mehr gespart und in der „iranischen“ ist man großzügiger.
Beim Musikgenuss wiederum gibt es in Deutschland kaum Einschränkungen. So kommen beide Kulturen laut Hofstede auf die gleiche Anzahl von Genusspunkten, obwohl sie in unterschiedlichen Punkten asketisch beziehungsweise genussorientiert sind.
Sind Muslim*innen jetzt streng oder nicht?
Das kann man so nicht genau sagen. Einige muslimische Kulturen sind wesentlich genussorientierter als die mitteleuropäischen. In gewissen Aspekten sind manche muslimischen Gesellschaften strenger. Manche sind besonders asketisch. Muslime in mitteleuropäischen Ländern orientieren sich an der Askese oder dem Genuss. Oder in dem einen Bereich an dem einen und in dem anderen am anderen Aspekt. So wie Nicht-Muslime auch.
Deswegen kann man nicht verallgemeinernd sagen, ob die Muslim*innen streng sind oder nicht. Das hängt von der Person, ihrer Geschichte und ihren Erfahrungen ab.
Mehr über die muslimische Fastenzeit erfahren Sie im Blogartikel Ramadan.
Kommen Sie mit muslimischen Eltern in Kontakt, damit Sie gemeinsam für die Kinder das Beste erreichen!
Ich übersetze für Sie die muslimischen Kulturen.