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Höflichkeit: Soll ich „Grüß Gott“ sagen oder lieber „Guten Tag“?

Vielen ist Höflichkeit und vor allem Achtsamkeit ein großes Anliegen. Sie möchten es vermeiden, anderen auf den Schlips zu treten.

Andere wiederum beklagen, dass manche muslimischen Väter zum Beispiel unhöflich wären, weil sie ihnen nicht die Hand schüttelten.

Wie ist das nun mit der Höflichkeit in der muslimischen Welt?

Höflichkeit, Respekt und gutes Benehmen haben einen sehr großen Stellenwert im Islam. Besonders in der Erziehung von Kindern wird auf diese Aspekte besonders viel Wert gelegt.

Respektlosigkeit ist etwas, das viele islamische Rechtsgelehrte sogar als verboten – also haram – erachten.

Jedoch gerade im Bereich der Höflichkeit kommt es im interkulturellen Zusammenleben zu Hund-Katze-Situationen: Wenn die Katze mit dem Schwanz wedelt, könnte der Hund meinen, sie ist in Spiellaune. Ist sie aber nicht. Das kann der Hund nicht wissen. Weil er von sich aus geht.

Genauso ist es, wenn mehrere Kulturen zusammen kommen. Die Zeichen der Höflichkeit in der einen Kultur können in der anderen Kultur als unhöflich gewertet werden.

Wo also gibt es beispielsweise Unterschiede?

Immer wieder höre ich in meinen Seminaren Entrüstung darüber, wenn manche muslimischen Männer Frauen nicht die Hand schütteln.

Meistens jedoch geschieht dies aus Höflichkeit und nicht aus Respektlosigkeit. Denn in vielen muslimischen Kulturen gilt es als unhöflich, einer Frau zu nahe zu treten. Und die Hand einer Frau zu schütteln, ist für manche Muslim*innen „zu nahe“.

Wobei es in einigen muslimischen Ländern generell nicht üblich ist, Hände zu schütteln. Wenn jedoch in muslimischen Kulturen die Hand gegeben wird, ist der Händedruck meist deutlich sanfter als in Mitteleuropa.

Wissen Sie, warum man sich in Mitteleuropa üblicherweise die Hand gibt? Und sich nicht z.B. einfach zuwinkt, sich verbeugt oder sich einfach nur mit Worten begrüßt?

Ursprünglich war die Geste, sich die rechte Hand zum Gruß entgegenzustrecken, das Zeichen dafür, dass man keine Schusswaffe gezogen hatte und man freundlich und friedlich gesinnt war.

In einigen muslimischen Kulturen verwendete man statt Schusswaffen Dolche, die unter dem Umhang seitlich am Oberkörper getragen wurden. Die Begrüßung unter vielen muslimischen Männern ist es, sich beim Umarmen abzuklopfen.

Was das gleiche Symbol nur in anderer Ausführung wie in Mitteleuropa ist: nämlich festzustellen, ob das Gegenüber bewaffnet ist.

Obwohl heute in den meisten Orten der mitteleuropäischen und der muslimischen Welt die Menschen im Alltag unbewaffnet sind, hat sich die entsprechende Begrüßungsform bis in die Gegenwart gehalten, obwohl es keinen Sinn mehr macht, sich so zu begrüßen.

Erst 2020 hat sich die jahrhundertealte Begrüßungskultur des Westens geändert

Muslimische Frauen begrüßen sich im Übrigen häufig durch Umarmung und Wangenküsse. Muslimische Männer nicken muslimischen Frauen zum Gruß zu oder begrüßen sie durch Worte. Mehr zum Thema finden Sie hier: Warum manche Muslime den Handschlag verweigern

Ein weiterer Unterschied besteht in der Verwendung des Wortes „bitte“. Diese ist von Sprache zu Sprache unterschiedlich. Ein höfliches Fragen oder Bitten jedoch gibt es in allen muslimischen Sprachen.

Im Deutschen wird das Wort „bitte“ sehr häufig gebraucht. So z.B. in Bussen, in denen steht: „Halten Sie sich bitte fest“. Für manche Nicht-deutsch-Muttersprachler ist das „bitte“ hier verwunderlich, weil man ja ohnehin davon ausgeht, dass Menschen von sich aus bestrebt sind, auf ihr Wohlbefinden zu achten und man sie nicht darum bitten muss.

Im Iran beispielsweise wird es als unhöflich erachtet, jemandem den Rücken zuzukehren – beispielsweise auch in einem Bus. Wenn man also vor jemandem zu sitzen kommt, ist es höflich, zu sagen: „Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen den Rücken zukehre!“ Woraufhin die Person dahinter üblicherweise antwortet: „Eine Blume hat kein Vorne und kein Hinten!“

Höflichkeit in der Grammatik

Eine „Sie-Form“ gibt es zwar beispielsweise im Türkischen und Persischen, jedoch nicht im Arabischen,  wie das auch im Englischen der Fall ist . Im Ägyptisch-Arabischen wiederum jedoch schon. Dennoch gibt es auch im Arabischen Möglichkeiten, beispielsweise einen König höflich anzusprechen. Für viele jedoch braucht es etwas Übung, herauszufinden, wen sie mit „Sie“ ansprechen müssen und zu wem sie „du“ sagen können. Vor allem wenn sie immer wieder die Erfahrung machen, von Menschen ohne Migrationserfahrung in „Ausländer-Deutsch“ mit „du“ angesprochen zu werden.

Auch im Deutschen ersetzt ein höfliches „du“ immer häufiger das „Sie“.

Auch bei „Ja“ und „Nein“ gibt es Unterschiede – sogar schon zwischen Deutschland und Österreich

Wissen Sie, wie man in Österreich höflich „Nein“ sagt?

„Schau ma mal!“ Man weiß zwar meistens schon, dass man „Nein“ meint, will das Gegenüber aber nicht brüskieren und sagt „Schau ma mal!“

Auch in einigen muslimischen Kulturen ist es üblich, dem Gegenüber kein „direktes“ Nein entgegenzuwerfen. Man sagt dann eher so etwas wie: „Das ist schwierig“ oder auch „In sha Allah“.

Deswegen ist es für manche Muslime auch ungewöhnlich, ein bloßes „Nein“ zu hören.

Zum Beispiel reagiert man im Türkischen manchmal darauf mit der innerlichen oder geäußerten Frage: „Wirklich nicht?“

Manchmal ruft ein brüskes „Nein“ die Abenteuerlust des Gegenübers hervor, herauszufinden, ob das „Nein“ wirklich so gemeint ist.

Kurz gesagt, gibt es die Funktion „Nein“ in allen muslimischen Sprachen. Jedoch hat das Wort „Nein“ – auch übersetzt in die verschiedenen Sprachen – oft nicht die Wirkung des „Neins“ – sondern es bedarf oft einer Code-Phrase.

Auch ein „Ja“ kann ein höfliches „Nein“ sein

Besonders auf die Frage: „Haben Sie verstanden?“

Manchmal wird genickt oder die Frage bejaht, obwohl man nicht verstanden hat. Es kann sein, dass man sich nicht die Blöße geben und zugeben will, nicht verstanden zu haben. Oder man will das Gegenüber nicht kritisieren und ihm mit dem „Nein“ verstehen geben, dass es sich nicht verständlich ausgedrückt hat.

Auch körpersprachliche Zeichen der Höflichkeit können unterschiedlich verstanden werden.

Freundliches Lächeln zum Beispiel hat hierzulande generell die Bedeutung: „Ich möchte im Gespräch nett und offen sein“.

In manchen muslimischen Kulturen kann Lächeln beim Reden mit einem Gegenüber des anderen Geschlechts als Kokettieren gewertet werden – und kann eine dementsprechende Reaktion hervorrufen.

Wenn man nun in einem multikulturellen Umfeld arbeitet und es mit unterschiedlichen Kulturen zu tun hat, wie kann man dann Höflichkeit ausdrücken, ohne missverstanden zu werden?

  • Der erste Schritt dabei ist, sich der möglichen Hund-Katze-Situation bewusst zu sein. Sich bewusst zu sein, dass die Zeichen, die man aussendet, in der Selbstverständlichkeit des Gegenübers möglicherweise genau das Gegenteil bedeuten. Dann ist man nicht überrascht und planlos, wenn nicht die Reaktion kommt, die man erwartet hat.
  • Der zweite Schritt ist, Höflichkeit auszustrahlen. Herzenswärme lässt sich immer erkennen – über alle Sprachen und Kulturen hinweg.
  • Der dritte Schritt ist, bewusst zu überlegen und selbst zu bestimmen, welche Zeichen der Höflichkeit man verwenden will. Wollen Sie beispielsweise die Hand schütteln? Oder empfinden Sie es nach über zwei Jahren Abstinenz als ganz angenehm, ohne auszukommen?

Und auch bei der Frage, ob Sie „Grüß Gott“ sagen sollen oder lieber „Guten Tag“ – hängt es von Ihnen ab, was Ihnen mehr zusagt.

Muslime kann man generell mit einem „Grüß Gott“ nicht auf den Schlips treten. Wenn es nur einen Gott gibt – wie es auch Muslime glauben – dann wird genau dieser eine gegrüßt. Eben auf Deutsch. Allah heißt Gott auf Arabisch. Auf Türkisch heißt er auch Tanrı. Und auf Persisch Khoda.

Über die Verwendung von Sprache im Miteinander erfahren Sie hier mehr: Was darf ich denn überhaupt noch sagen?

P.S.: In den zukünftigen Blogartikeln werde ich die Anrede auf ein höfliches „Du“ umstellen.

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