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Wie ist es, in mehreren Kulturen zu leben?

In mehreren Kulturen zu leben ist für Kinder, die so aufwachsen, zunächst einfach mal Alltag und somit normal. Auch mit verschiedenen Denk-, Sicht- und Lebensweisen zu tun zu haben – selbst wenn sie sich widersprechen – ist zu bewältigen.

Schwierig wird es für die Kinder erst dann, wenn man ihnen zu verstehen gibt, dass sie anders als die anderen sind. Das nennt man „othering“.

Manchmal macht man Kinder zu „kulturell anderen“, auch wenn man das gar nicht so meint. Doch immer wieder mal ist das Gegenteil von gut – gut gemeint.

Solche Momente können z.B. entstehen, wenn man Kinder bittet, für das Schulfest doch Essen aus ihrem Land mitzubringen. Oder sie fragt: „Wie macht man denn das bei euch in….?“ Oder Jugendlichen sagt: „Darfst du das denn in deinem Land?!“

Natürlich ist es sehr erfreulich, wenn Sie Interesse zeigen

Und tut dem Gegenüber gut.

Denn auch das Übergehen der individuellen Gegebenheiten kann verletzen. Es schmerzt, wenn sich niemand für die Lebenswelt der Schüler*Innen interessiert.

Wenn Sie also neugierig sind, was die Familien Ihrer Kinder essen, welche Gewohnheiten sie haben oder wie mit verschiedenen Verhaltens­weisen im Elternhaus umgegangen wird, dann fragen Sie einfach nach persönlichen Vorlieben und Erfahrungen.

Wie z.B.: Was ist deine Lieblingsspeise zu Hause? Hast du in … auch Diktate geschrieben? Was sagen deine Eltern, wenn du …. machst? So, wie sie auch alle anderen Kinder fragen würden.

Zu „kulturell Anderen“ gemacht zu werden, bereitet Schmerzen, weil man sich dadurch ausgeschlossen fühlt. Der Gehirnforscher Gerald Hüther erklärt, dass „nicht dazu gehören zu dürfen, große Angst macht.“ Selbst Erwachsenen.

Für viele Kinder und Jugendliche ist es kein Thema, in mehreren Kulturen zu leben.

Was Probleme macht, ist, in keiner der Kulturen dazuzugehören

So heißen beispielsweise die Kinder von Eltern, die von der Türkei nach Deutschland gezogen sind, in der Türkei: Almancılar – die Deutschländer. Und in Deutschland heißen sie Deutsch-Türken. In Deutschland liegt dabei das Augenmerk auf Türken und in der Türkei auf Deutschen.

Der Autor und Universitätsprofessor Ahmet Toprak sieht das Leben der Kinder in mehreren Welten so: „Sie leben zwischen zwei Kulturen und lernen, diese in sich zu vereinen. Dass es sich dabei eigentlich um eine Kompetenz handelt, wird in der öffentlichen Wahrnehmung oft vernach­lässigt. Wir erleben immer wieder, dass es von der Mehrheitsgesellschaft als Integrationsdefizit interpretiert wird, wenn man sich zu beiden Kulturen bekennt. Dabei besteht genau darin die Hybridität.“

Diese Kompetenz, die den Erfahrungsschatz der Kinder bereichert, macht sie oft sehr kreativ in Umgang mit neuen Gegebenheiten. Was nach dem Astrophysiker Stephen Hawking die eigentliche Definition von Intelligenz ist: „Intelligence is the ability to adapt to change.“

Aus der Perspektive der Gesellschaft wirkt es jedoch manchmal wie ein „leerer Topf“, den es noch zu füllen gilt, wenn Kinder noch nicht so gut Deutsch sprechen und sie hiesige Gepflogenheiten noch nicht kennen.

Und die vielen Erfahrungen, die sie in ihren verschiedenen Lebenswelten – die sich aus der Perspektive der Gesellschaft manchmal nicht einmal erahnen lassen – bleiben oft unsichtbar.

Der kreative Umgang mit der Situation zeigt sich auch darin, dass diese Kinder und Jugendlichen eine neue Kultur erschaffen

Die Kultur derjenigen, die Familie in verschiedenen Ländern der Erde haben, die selbst in verschiedenen Welten leben und zwischen Sprachen und kulturellen Normen hin- und her switchen können. Auch später bei der Wahl des Partners achten sie häufig darauf, dass dieser ebenso diese Erfahrung des gekonnten Wechselns von Welt zu Welt kennt oder zumindest nachvollziehen kann.

In dem Kurzfilm von „Naber – was geht“ erzählt die Lehrerin Tuğba Türk, wie es ihr selbst in der Kindheit mit dem Leben in zwei Kulturen ergangen ist und wie sie jetzt damit im Schulalltag umgeht: https://www.youtube.com/watch?v=RWJIcjn4SI4

Was braucht es, damit Kinder gut damit umgehen können, in mehreren Kulturen zu leben?

Damit man weg vom Manko des Migrationshintergrunds kommt. Hin zu einer Freude und Wertschätzung der vielfältigen Erfahrungen.

Weg von: nicht ganz Österreicher*in, Deutsche/r, Südtiroler*in…  mit Wurzeln und Hintergründen

Hin zu: Österreicher*in, Deutsche/r, Südtiroler*in … und Pakistani, … und Hazara, … und Syrer*in, …

Weg von: Österreicher*in, Deutsche/r, Südtiroler*in minus der „ausländischen Anteile“ ergibt: etwas nicht Ganzes

Hin zu: Österreicher*in, Deutsche/r, Südtiroler*in plus (Vater aus Afghanistan) plus (Mutter aus Tadschikistan) plus (geboren im Iran) ergibt: eine große Summe an Erfahrungen

Zunächst braucht es einen Perspektivenwechsel. Die Bereitschaft, neu zu denken. Zu hinterfragen.

Zum Beispiel:

Warum können Kinder von Mitarbeiter*innen internationaler Firmen ihre Matura in speziellen Schulen auf Englisch machen? Warum mutet man ihnen Deutsch nicht zu? Sie kommen doch meist aus einem bildungsafinen Elternhaus.

Warum ist eine Matura auf Türkisch undenkbar? Obwohl das fertige Konzept vorhanden wäre.

Warum kann man in den höheren Klassen zwar zwischen Französisch, Spanisch, Italienisch und Latein wählen? Nie jedoch zwischen Persisch, Bengali oder Tschetschenisch?

Allein die Beschäftigung mit diesen Sprachen könnte den Erfahrungsschatz der Gesellschaft erweitern.

Der nächste Schritt wäre es, sich für die vielfältigen Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen zu interessieren. Das mögen mitunter ganz andere Erfahrungen sein als erwartet.

Ali Mahlodji beispielsweise hat viele solcher Erfahrungen gemacht und sie zu nutzen verstanden und ist so zu einer Inspiration für alle geworden: https://www.ali.do/

Damit die Erfahrung, in mehreren Kulturen zu leben, gut genutzt werden kann, braucht es:

Jemanden, die oder der die Schätze der Kinder und Jugendlichen sehen und wertschätzen kann. Und sie bestärkt und begleitet, diese Schätze zu heben.

Auch wenn es in der Schule neben dem Curriculum nicht viel Zeit und Raum gibt:

Es geht zunächst einfach um die Beachtung der Lebenswelten der Schüler*Innen

Es könnte sein, dass Ihnen ein Kind durch die dadurch entstandene Vertrauensbasis auch schwierige Erfahrungen anvertraut. Möglicherweise traumatische Erlebnisse. Wie Fluchterfahrungen.

Das kann für Sie zwar sehr herausfordernd sein. Doch für das Kind sind Sie vielleicht eine der wenigen Personen, bei denen es sich so gut aufgehoben fühlt, dass es sich zutraut, sich das Erlebte noch einmal anzuschauen.

In so einem Fall ist es noch wichtiger, zuzuhören. Ohne zu unterbrechen.

Und sich Unterstützung zu holen. Für das Kind und für sich.

Hilfreiche Lektüre dazu ist beispielsweise das Buch „Traumatisierte Kinder sensibel begleiten“ von Udo Baer: https://www.buch7.de/produkt/traumatisierte-kinder-sensibel-begleiten-udo-baer/1033585969?ean=9783407727664

In mehreren Kulturen zu leben, ist ein Erfahrungs­schatz, den auch die Gesellschaft ohne Migrationshintergrund für das eigene Vorankommen nutzen kann.

Nicht jede/r mag die Möglichkeit eines Austauschjahres haben. Sie können sich jedoch beispielsweise mit einer anderen Schrift beschäftigen. Oder mit Musikrichtungen, die Sie noch nie gehört haben. Oder mal Essen bestellen, das Sie noch nie probiert haben.

Inwiefern Ihnen dieser interkulturelle Erfahrungsschatz nutzen kann, erfahren Sie in dem Blogartikel: 5 Gründe, warum die Auseinandersetzung mit der orientalischen Welt für Sie nützlich sein kann

 

 

 

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