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Ist es zu erwarten, dass Muslim*innen ihren Lebensstil verändern?

Darf ich erwarten, dass Muslim*innen ihren Lebensstil verändern? Das ist eine Frage, die mir bei Vorträgen und Seminaren manchmal ganz offen, manchmal durch die Blume gestellt wird. Ich finde, es ist eine wichtige Frage. Und wichtig, sich darüber Gedanken zu machen.

Möglicherweise haben auch Sie einen Berufsalltag, der sehr herausfordernd ist. Mit immer neuen Anforderungen, Veränderungen und immer noch längeren To-do-Listen.

Da wäre es sehr erleichternd, wenn der Umgang mit den Menschen, mit denen Sie arbeiten, einfach wäre. Wenn das Verhalten von Menschen nachvollziehbar und vorhersehbar wäre. Wenn es keine Sonderwünsche gäbe. Wenn man wüsste, wie man mit ihnen umgehen soll.

Daher stammt manchmal der Wunsch, dass Muslim*innen ihren Lebensstil verändern sollen.

Doch würde das gehen, dass Muslim*innen ihren Lebensstil verändern?

Würde es gehen, wenn sie es selber wollten?
Ein Monat ist jetzt seit Neujahr vergangen. Wie viele Ihrer Vorsätze haben Sie bereits ungesetzt? Ziemlich herausfordernd, nicht wahr?

Ein anderes Beispiel: Wie geht es Ihnen mit dem kulturellen Wandel und den Veränderungen des Lebensstils des Jahres 2020?

Ähnlich geht es vielen muslimischen Migrant*innen, wenn sie in einer neuen Kultur leben. Mit ähnlichen Gefühlen des Überfordertseins, der Angst vor Neuem, der Trauer um Aspekte der Vergangenheit.

Wie sehr viele muslimische Migrant*innen bereits ihren Lebensstil verändert und dem der Mehrheit angeglichen haben, bemerkt diese üblicherweise gar nicht. Nur die fallen auf, deren Lebensstil irgendwie anders ist. Allerdings muss man da jedoch genauer hinschauen: Die Änderung des Lebensstils ist wie ein Tanz: Mal geht es zwei Schritte nach vor, dann wieder einen Schritt zurück. Auf lange Sicht betrachtet, bringen uns Menschen neue Gegebenheiten immer dazu, uns zu verändern.

Kann man Muslim*innen dazu bringen, dass sie ihren Lebensstil verändern?

Dazu muss man sagen: Gesetze, Hausordnungen und Regeln gelten für alle gleichermaßen: für die, die seit mehreren hundert Generationen hier leben und für die, die letzte Woche dazugekommen sind.
Doch der Lebensstil ist etwas sehr Persönliches, auf das man ein Recht hat.

Einzufordern, diesen zu verändern, erinnert an die Parabel von der Sonne und dem Wind: Sonne und Wind streiten sich darüber, wer stärker ist. Sie sehen einen Mann, spazieren gehen. Die Sonne meint, sie sei stärker. Der Wind kontert: „Nein, ich bin stärker – ich beweise es dir!“ Er bläst und bläst und versucht, dem spazierenden Mann den Mantel auszuziehen. Doch dieser hält seinen Mantel nur noch stärker fest. Da sagt die Sonne: „Jetzt bin ich dran!“ Sie scheint und scheint. Da zieht der Mann seinen Mantel freiwillig aus.

So ist es auch für viele Migrant*innen:

Je mehr sie ihre Kultur leben können, umso eher sind sie bereit, von sich aus Neues anzunehmen.

Und so ist es auch für Nicht-Migrant*innen. Je mehr man Seines haben kann, umso mehr kann man damit leben, dass andere Menschen einen anderen Lebensstil haben. Und umso eher schaut man sich etwas davon ab.

Dazu ist es wichtig, die eigenen Bedürfnisse gut zu kennen. Und vor allem, sich um die eigenen Bedürfnisse gut zu kümmern. Sonst kreidet man es anderen an, wenn man zu kurz kommt.

Je mehr muslimische Migrant*innen jedoch das Gefühl bekommen, nie Teil der Gesellschaft zu werden, umso mehr resignieren sie und versuchen es erst gar nicht.

Einige muslimische Gesellschaften – wie im übrigen auch einige im deutschsprachigen Raum – sind Kulturen, die Unsicherheiten vermeiden. Das bedeutet, dass man Neues eher skeptisch betrachtet und Sicherheit im Vertrauten sucht. In solchen Gesellschaften geht man davon aus, dass alles, was von der eigenen Kultur kommt, gut, erhaben und moralisch ist. Und das, was von Außen kommt, gefährlich, böse und schlecht.

Menschen mit unsicherheitsvermeidender Haltung fallen Veränderungen besonders schwer.

Warum will man, dass Muslim*innen ihren Lebensstil verändern?

Manche Situationen sind aufgrund von kulturellen Missverständnissen sehr herausfordernd. Interkulturelle Begegnungen sind zwar bereichernd, aber nicht immer. Manchmal ist es einfach zum Haare-Raufen.

Sehr oft ist es jedoch so, dass man sich wünscht, es möge doch alles leicht – ohne großen Aufwand – dahin plätschern. Doch gerade schwierige Wege machen einen zum gekonnten Fahrer. Auch in Filmen sind die, die größten Helden, die die schwierigsten Herausforderungen meistern. Und nicht die, die eine Ameise besiegen.

Schwierigkeiten sind ein würdiger Gegner und holen das Beste aus uns heraus. Und sie verschaffen uns damit jede Menge des Belohnungs- und Motivationshormons Dopamin.

Manchmal mag im Wunsch, dass sich Muslim*innen doch verändern mögen, ein wenig Ego- oder Ethnozentrik mitschwingen. Also die Meinung, der eigene Lebensstil sei der beste und die anderen sollen sich doch glücklich schätzen, diesen anzunehmen.

Wäre es wünschenswert, dass Muslim*innen ihren Lebensstil ändern?

Auf den ersten Blick manchmal ja. Dann wäre das Berufsleben manchmal einfacher. Wir würden dabei aber die Chance verpassen, zu wachsen.

Adam Rifkin formuliert es so: „Befreunde dich mit Leuten, die nicht in deinem Alter sind. Triff dich mit Leuten, die eine andere Erstsprache als du haben. Lerne die kennen, die nicht aus deiner sozialen Schicht kommen. So wirst du die Welt sehen. So wirst du wachsen.“

Wenn wir also immer weiter in unsere volle Größe hineinwachsen, ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass wir Lösungen für die vielfältigen Herausforderungen der Welt in der Wirtschaft, in der Umwelt oder der Lebensqualität, usw. finden.

So meint der Gehirnforscher Gerald Hüther: „Das Furchtbarste, was uns passieren kann, ist, dass wir uns alle einreden, es käme darauf an, dass wir alle das Gleiche denken. Dass wir alle den gleichen Weg gehen. Dass es auf irgendetwas ankäme, was für uns alle gleich ist. Wir brauchen die Vielfalt, wir brauchen auch immer wieder diese Herausforderung, dass andere anders denken als wir.“ Wie das unsere Weiterentwicklung als Menschen beeinflusst, beschreibt er im folgenden Interview: https://youtu.be/PoRpLWqSsi4

Nicht nur die Welt profitiert von unterschiedlichen Blickwinkeln und Herangehensweisen. Auch jeder Einzelne kann sich am Buffet der verschiedenen Verhaltensweisen und Perspektiven die Rosinen herauspicken und ausprobieren. Durch das Zusammenkommen von einer größeren Vielfalt an Denk-, Sicht- und Lebensweisen haben wir alle nun eine größere Auswahl. Das bietet uns den Vorteil, dass wir nicht einfach nur der Sozialisierung, die wir erhalten haben, folgen müssen. Außer, wir wollen das.

Wir haben nun die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, wie wir sein wollen. Und können so selbstbestimmt leben.

Wir haben die Möglichkeit, von der Monokultur zur Einzigartigkeit zu kommen.

Oder wie es Maya Angelou ausdrückt:“ Wenn du immer versuchst, normal zu sein, wirst du niemals erkennen, wie großartig du sein kannst.“

Fazit: Ja, man darf eine Veränderung des Lebensstils erwarten. Es ist zu erwarten, dass wir uns alle verändern. Und weiterentwickeln.

Wenn Sie sich aber nicht nur für die Vielfalt interessieren, sondern auch für die Gemeinsamkeiten, lesen Sie meinen Blogartikel: 5 Gemeinsamkeiten von Geflüchteten und „Alteingesessenen“

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